THOUGHTS PAINT THE SKY

Ihr seid eine Screamoband und inzwischen sowas wie ein positiver Anachronismus, aber wie findet ihr Bands für Gigs, ohne euch zum Nischendasein hin zu entwickeln?

Flo: Was ist ein Anachronismus? Screamo? Als ich mit Daniel zusammen ange-fangen habe Musik zu machen, war TPTS in einem krassen Umbruch. Daniel hatte auf einmal nur neue und bis dahin für ihn unbekannte Leute um sich und wir haben "Komödie/Tragödie" in einem Selbstfindungsprozess geschrieben. Ich würde das sehr gern nicht betiteln (bzw. in eine Schublade drücken), was wir da gemacht haben, sondern es eher so stehenlassen. Wir haben einfach Krach gemacht und das war gut so! Es gibt soviel zu entdecken in der Musik - Da brauch man sich, glaube ich, kei-ne Sorgen machen allein in einer Nische zu sein.

Daniel: Wir sind eine Screamoband? Man könnte jetzt sofort einwerfen: "Nee, die schreien doch kaum noch!" Richtig. Aber was sind schon Genre-Konventionen? Keine Ahnung. Vielleicht sind wir einfach unzeitgemäß, viel-leicht in einer Nische. Aber irgendwie ist es auch gar nicht schlecht ein wenig anzuecken (obwohl wir es nicht darauf angelegt haben). Also sage ich: Lieber in der kuscheligen Nische als inmitten der ungemütlichen Masse!

Worauf ist der Titel "Nicht mal mehr wir selbst" eues aktuellen Albums aus dem Track "Goldener Schnitt" denn genau gemünzt? Entfremdung? Wodurch?

Daniel: Im Song geht es darum, dass man in einer Welt voller ständig erreichba-rer Informationen möglicherweise gar den Bezug zum realen Selbst verlieren kann, mitunter sich sogar formen lässt. Der Ausruf "Hier sind wir nicht mal mehr wir selbst" soll darauf aufmerksam machen. Also ist in gewisser Weise die Entfremdung durch Medien trotz ständig wachsender Vernetzung gemeint.

Flo: Ich fand es interessant, dass der Titel so interpretiert wurde, als ob wir extra Etwas geschrieben hätten, das uns gar nicht entspricht. Wir alle sind im Grunde genommen sehr verschiedene Menschen und bringen in der Musik jeder etwas Individuelles mit ein (so sollte es auch sein) und formen dabei Neues, vielleicht auch in diesem Sinne etwas, das nur uns im Gefüge beschreibt - so dass wir (je-der für sich) nicht mal mehr wir selbst sind.

Die Texte von euch sind schon immer ein Kriterium, weshalb ich TPTS so schätze. Entstehen diese im Alleingang, oder wie kann man sich das vorstellen?

Daniel: Die Texte schreibe alle ich und da sie mir sehr wichtig sind, freue ich mich immer, wenn sie gefallen!

Eure Stickeraktion, wo hier Leute an fernen Plätzen mit "Hier sind wir nicht mal mehr wir selbst" Stickern fotografiert haben wolltet, ist ja auf große Resonanz gestoßen, was war denn das skurrilste Bild und inwieweit sind TPTS eine arty Band?

Daniel: Das für mich skurrilste Photo kam aus Finnland: Ein Elch inmitten einer Stadt, daneben ein junger Mann, der den Sticker in die Kamera hält. Eine arty Band? Hm, weiß nicht! Jedenfalls sind die Illustrationen von dromsjel großartig arty und wurden von uns schon für einige Veröffentlichungen benutzt ("schlicht & ergreifend.", "Komödie/Tragödie?", "Hier spielt die Musik" und eben "Nicht mal mehr wir selbst").

Flo: Das eine Bild von dem Steinboden, auf dem mal ein Toter lag.

Als Screamoband stellt sich die Frage ob ihr noch mit den Idealen der Hardcore-Szene verbunden seid und was ihr als Band davon weitertragen wollt und was jedem persönlich überlassen bleibt.

Flo: Für immer Punk! Ich möchte als Band eigentlich nur Gutes vermitteln. Da spielen persönliche Einstellungen eine untergeordnete Rolle. Die Gedanken sind frei! Das, was nach dem Konzert mit den neuen Leuten geschieht, die man am Ort kennenlernt hat, hat eher was mit "Weitertragen von Idealen" zu tun. Denje-nigen möchte ich dann sagen, dass Horizonterweiterung ausgesprochen gut und wichtig ist. Hardcore ist mir hier auch zu engstirnig gedacht. Viele Dinge, die ich gern mag, finde ich in der Hardcore-Szene, aber auch in anderen Bereichen. Gleichzeitig finde ich auch Dinge, die ich bis heute nicht verstehe und immer noch negativ finde.

Daniel: Keine leichte Frage. Gegenfrage: Die Hardcore-Helden Refused haben sich wiedervereint und spielen 2012 große Festivals. Eine tolle Sache für die Fans! Aber ist das mit Hardcore-Idealen kompatibel? Unsere Texte sind nicht unbedingt hardcore-typisch und doch gesellschaftskri-tisch, wir sind mittlerweile auf einem Label und haben doch jahrelang unsere Tonträger selbst veröffentlicht - ich denke, wir sind irgendwo im gesunden Mit-telmaß. Hardcore-Ideale im Sinne von DIY-Kultur und dem Schaffen von alter-nativen Zentren in Städten ist eine tolle und wichtige Sache, aber es sollte jedem selbst überlassen sein inwieweit er/sie in der Szene involviert ist und sich zuge-hörig fühlt.

Das DIY-Prinzip ist seit der Bandgründung bei allen Unternehmungen immer deutlich zu erkennen gewesen, was empfehlt ihr jüngeren Bands, die denken, dass ohne Label und Booking Agency gar nichts läuft?

Flo: Geht auf kleine Konzerte und lasst euch inspirieren. Bringt Material von eurem Arbeitsplatz mit und macht was Lebendiges aus etwas Unbelebtem. Daniel: Klar geht da was! Bastelt Demo-CDs, steckt etwas Persönliches in die Musik, sucht den Kontakt zu anderen Bands und spielt Shows. Der Rest kommt von alleine.

Ihr habt euch als akustische Band gegründet und vieles ist auch heute noch semi-akustisch, wie lange wollt ihr an diesem Prinzip festhalten und wie kam es überhaupt dazu?

Daniel: Akustische Gitarren benutzen wir ja immer noch (ich sogar von Anfang an dieselbe!), nur jagen wir das Klangsignal durch Effekte, die immer wieder an- und ausgeschaltet werden, in einen normalen E-Gitarren-Verstärker. Es kam dazu durch Zufall, da bei der Bandgründung kein Proberaum vorhanden war und wir im Wohnzimmer musiziert haben. Der Sound gefiel, wir hielten da-ran fest und entwickeln ihn bühnentauglich weiter, wodurch sich auch der Stil änderte. TPTS ohne Akustikgitarren wäre Quatsch und wird es nicht geben!

Für gewöhnlich kritisieren die Schreiber immer Bands, drehen wir den Spieß doch mal um, was nervt euch an der Medienlandschaft und an gängi-gen Magazinen?

Flo: Vielleicht zu viele Magazine, die sich gleichen?! Hier könnte man über Fu-sionen nachdenken und vielleicht weniger Mags pro Jahr herausbringen. Eine unabhängige Reviewer-Gemeinde wäre auch ein Meilenstein. Daniel: Meiner Meinung nach werden zu oft die immer gleichen Bands in den Himmel gelobt, andere Bands dagegen finden trotz künstlerischem Anspruch nie Anklang in der Medienwelt, weil sie möglicherweise "anachronistisch" (gutes Wort übrigens!) sind.
Thomas Eberhardt